Zum zweiten Mal geschafft - Viel Kampf, viele Tränen und ein stolzes Finish
UTMB 2023 - Ultra Trail Mont-Blanc 181 km 10.000 Höhenmeter in 45 h und 17 Minuten. Ein unendlich harter Kampf bis ich die letzten Meter zusammen mit meinen Mäusen, erleichtert und mit vielen Tränen in den Augen über die Finish Line in Chamonix laufen durfte.
Zum 2. Mal nach 2018 genoss ich den Zieleinlauf bei diesem Event der Superlative. Es war vollbracht. Nach meiner Verletzungsmisere und großem Trainingsdefizit schaffte ich es mit der riesigen Unterstützung meiner Frau und Kindern über die Ziellinie.
Noch ein paar Stunden vor dem Start war für mich laufen nicht möglich. Zufällig konnte mir die weltbeste Physiotherapeutin in Chamonix helfen und meine hartnäckige Zerrung in der Wade 4h vor dem Startschuss lösen.
Ich lief mit 2600 Ultraläufern aus aller Welt Freitag um 18 Uhr los, um den höchsten Berg Europas zu umrunden. Ein abenteuerliches Unterfangen. In der ersten Nacht war es auf knapp 3000 m eisig mit Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt und nur ein paar Stunden später brannte mir die Sonne erbarmungslos in den Rücken. Wie oft ich an das aussteigen dachte, kann ich nicht mehr sagen, aber trotzdem lief ich immer weiter, immer getreu meinem Motto "Never give up".
Dank meiner fehlenden Fitness lief ich ständig gegen die Cut-Off Time. Ich lief durch 3 Länder, Frankreich, Italien und Schweiz. Die zweite Nacht war mega hart. Ich fiel beim Laufen immer wieder in einen Sekundenschlaf. Es ist ein atemberaubendes Feeling, wenn man am Morgen den Sonnenaufgang am Mont Blanc erleben darf. Nach unendlichen 45 Stunden lief ich dann durch die unzähligen, Beifall klatschenden Zuschauer in Chamonix.
Dies war der Moment warum man sich diese Strapazen antut. Man hat etwas Außergewöhnliches geschafft. Ein Ziel erreicht, das man sich vor vielen Monaten oder sogar Jahren gesteckt hatte und das schönste waren die letzten Meter mit meinen Kindern Emma und Timi bis zur Finish-Line und der Siegerkuss von Brigitte. Genau für diese Sekunden lebe ich. P.s. Nur 1700 von 2600 kamen in das Ziel...
Veranstalter: UTMB Group
Datum: 01-03.09.2023
Zeit: 45:17:11
Strecke: 181 km / 10.000 Höhenmeter
Platz Gesamt: 1531 von 2693 (1757 erreichten das Ziel)
Platz AK M45 Männer: 256
Unterkunftstipp in Chamonix: Park Hotel Suisse & Spa
Sonntag, 24. September 2023 von Winklmeier Markus
Du bist hier: Winklworld`s sportliche Erfolge
Inhaltsverzeichnis:
- 1. Vorgeschichte
- 2. Start in Chamonix - Viele Tiefs und wenige Hochs
- 3. Ankunft in Italien - Courmayeur
- 4. Die zweite Nacht, Schweiz und endlich wieder bei meinen Mäusen
- 5. Finish in Chamonix
- 6. Ergebnis UTMB
- 7. Das beste Team der Welt
- 8. Hier findest du meine Trailrunning Packliste / Checkliste
- 9. Ein paar Bilder von Blessuren, Zieleinlauf und Chamonix
- 10. Interview im Straubinger Tagblat über den UTMB 2023
1. Vorgeschichte
Seit dem 21. August waren wir mit dem Camper Van in Österreich, Liechtenstein, Italien und Frankreich unterwegs. Immer wieder versuchte ich mein Glück bei der einen oder anderen Laufeinheit. Leider schmerzte meine Achillessehne und nach 5 km war Schluss. Sogar beim Wandern und Stadtbesichtigung schmerzte mein Fuß.
Bis wenige Stunden vor dem Start am 01.09.2023 stand es somit auf der Kippe, ob ich teilnehmen könnte oder nicht. Ich bin trotz Verletzung und Trainingsdefizit gestartet und habe es nach 45 Stunden 17 Minuten nach 181 Kilometern und 10.000 Höhenmetern ins Ziel beim UTMB geschafft. Kurz gesagt es war extrem hart. Mein ständiges Lebensmotto "Never give up" hat mir wieder einmal sehr geholfen...
Von 2600 Startern haben es nur knapp 1700 über die Finish Line beim härtesten Trailevent der Welt in Chamonix geschafft. Die Strecke geht einmal um den Mont Blanc durch die drei Länder Frankreich, Schweiz und Italien.
Es war genial, die Elite der Elite war hier anwesend. Alles war perfekt organisiert. Die ganze Mont Blanc Gegend ist in der der Race-Week im Ausnahmezustand.
Am Freitagvormittag war Laufen noch nicht möglich. Meine Wade hatte ich mir vor einer Woche gezerrt und die Achillessehne ist seit Monaten angeschlagen. Auch die Leistenoperation im März hatte ich noch nicht verdaut. Nur meine Frau Brigitte glaubte an mich, dass ich es trotzdem ins Ziel schaffen könnte. An sich brauchte ich ein Wunder und bekam eines.
Kurzfristig ergatterte ich einen Termin bei einer genialen Physiotherapeutin in Charmonix. Mit Elektro- und Kältetherapie konnte sie tatsächlich meinen Fuß lauffähig machen. Das war 4 Stunden vor dem Start. Ich holte die Startunterlagen im Ultravillage in Chamonix, fuhr mit dem Bus zum Campingplatz, packte meinen Laufrucksack, um dann gemeinsam mit meiner Familie im Bus zum Start zu fahren. Der Tag war tatsächlich etwas stressig und das ich an der Startlinie stand, war eine Punktlandung :-)
2. Start in Chamonix - Viele Tiefs und wenige Hochs
In Chamonix war die Hölle los. 2600 verrückte Ultrarunner aus aller Welt. Über 50 Nationen. Der Startschuss fiel Freitag um 18 Uhr. Tausende Zuschauer jubelten an der Strecke. Das ist Gänsehautfeeling pur, wenn man durch die Menge läuft. Meine Wade schmerzte und ich kam nur langsam vorwärts. Nach 10 Kilometer bei Les Houches waren meine Mäuse und meine Frau an der Strecke. Ich war den Tränen nahe und dachte ans Aufgeben. Ich konnte das Rennen nicht schaffen und wollte es nicht wahrhaben. Aber meine Familie glaubte an mich und alle Drei hatten motivierende Worte für mich: "Papa du schaffst das! Schnecke du kommst ins Ziel". Somit stieg ich nicht aus und lief weiter. Ich würde meine Familie erst wieder in 160 Kilometer und 40 Stunden sehen. Leider hatten sie keine Möglichkeit mehr, an die Strecke zu gelangen, da alle Bustransfers ausgebucht waren. Von Kilometer zu Kilometer wurde meine Wade immer besser, bis sich der Schmerz komplett verflüchtigt hatte. Die Physiotherapeutin hatte ganze Arbeit geleistet. Jetzt sah ich zum ersten Mal eine reelle Chance das Ziel zu erreichen.
Ich lief in den Sonnenuntergang und dann in die Nacht hinein. Dies hat in der Bergen immer etwas Mystisches. Auf knapp 3000 Meter Höhe war es sehr eisig. Der Wind blies uns ins Gesicht. Die felsigen Trails sind anspruchsvoll und an schwierigen Stellen mit einem Stahlseil gesichert. Die erste Nacht nahm kein Ende. Die Kälte und der Wind zerrten an mir. In den Verpflegungsstationen (ca. alle 10 -15 Kilometern) gab es Suppe, Nudeln, Getränke, Cola, Brot, Riegel u.s.w.
Mein größtes Problem war die Cut Off Time. 2018 war ich viel schneller und die Cut Off kein Thema, aber dieses Mal war ich bei weitem nicht so fit. Ich hatte mit Verletzungspech, Leistenbruch und anschließender Operation zu kämpfen und deshalb war in den letzten 8 Monaten kaum Lauftraining möglich. An sich keine gute Voraussetzung für dieses Event :-)
3. Ankunft in Italien - Courmayeur
Somit konnte ich mich in den Verpflegungsstationen kaum erholen und musste nach ein paar Minuten Pause gleich wieder auf die Stecke. Wenn dich die Cut Off Time einholt, wirst du aus dem Rennen genommen.
Endlich wurde es hell und die Sonne ging hinter dem Mont Blanc auf. Ein unbeschreibliches Gefühl, dies zu erleben. An sich war es zu dem Zeitpunkt mehr ein überleben als erleben :-)
In den Verpflegungsstationen spielten sich viele Dramen ab. Kreislaufzusammenbrüche, viele mussten sich übergeben und Verletzungen. Oft bedeute dies ein DNF, somit ein Did not finish. Wie oft ich selbst an das Aufgeben dachte, weiß ich nicht mehr, trotzdem lief ich immer wieder los.
Nach 80 Kilometern war ich in Italien in der Ortschaft Courmayeur. Dort bekam ich mein Runbag. In diesem hatte ich frische Kleidung, Gels und Riegel deponiert. In Courmayeur war es am engsten mit der Cut Off. 20 Minuten vor dieser, verließ ich die Verpflegungsstation. Vor mir lag eine traumhafte Gegend, schöne Almwiesen, schneebedeckte Berge, Mont Blanc Gletscher, Wasserfälle, Kühe, Schafe, Ziegen und die schönsten Trails der Welt. Es ging die nächsten 800 Höhenmeter auf schmalen und felsigen Pfaden bis zu einer idyllischen Almhütte (Refuge Bertone) nach oben. Die Wanderer und Zuschauer an der Strecke feuerten uns pausenlos an und pushten die Läufer nach oben. Nun war es brutal heiß.
In der Nacht hatte es Temperaturen um den Gefrierpunkt und es lag Schnee in den höheren Lagen. Am Nachmittag hatte es in der Sonne 35 Grad. Ich hatte Angst vor der zweiten Nacht. Aus Erfahrung weiß ich, dass es so richtig hart werden würde und das wurde es auch. Man fängt zu Halluzinieren an und fällt während dem Laufen in einen Sekundenschlaf. Das kann auch gefährlich werden, wenn Absturzgefahr besteht. Ich traf am Abend auf einen niederländischen Läufer. Wir verstanden uns sofort und beschlossen die Nacht gemeinsam zu durchstehen. Das ist wichtig nach mittlerweile 40 Stunden ohne Schlaf, das man jemanden zum Unterhalten hat. Wir kämpften uns gemeinsam durch die Dunkelheit.
4. Die zweite Nacht, Schweiz und endlich wieder bei meinen Mäusen
Immer wieder ging es viele Höhenmeter am Stück nach oben und genauso viele wieder nach unten.
In der zweiten Nacht sieht es oft aus, wie auf einem Schlachtfeld. Läufer liegen neben der Strecke und schlafen, weil sie nicht mehr können und aufgeben müssen. Für mich definitiv keine Option, denn ich wollte das Ziel erreichen. Aufgeben ist für mich nie eine Variante. Dieses Wort kenn ich nicht :-)
Die zweite Nacht überlebte ich mit meinem neuen Freund Barry aus den Niederlanden. Mittlerweile liefen wir irgendwo im nirgendwo in der Schweiz. Ich freute mich schon auf meine Familie, die bei ca. 150 Kilometer hoffentlich an der Strecke stehen würden. Ich bekam pausenlos Motivationsnachrichten von meinen Freunden und Bekannten, die ich auf meiner Uhr lesen konnte. Alle verfolgten mich erwartungsvoll am Liveticker. Keiner konnte nach meiner verletzungsbedingten Vorgeschichte glauben, dass ich noch immer im Rennen war. Einen angeschlagenen Löwen darf man nicht unterschätzen...
Bei der vorletzten Verpflegungsstation empfingen mich meine Kinder und mein Frau Brigitte. Ohne die Drei wäre das alles gar nicht möglich. Hinter einem starken Mann steht eine noch stärkere Frau (ebenfalls einer meiner Lieblingssprüche).
Mit Tränen in den Augen nahm ich die Drei in den Arm. Schnell füllte ich nochmals meine Softflaskflaschen auf, packte ein letztes Mal Kekse, Banane und Riegel in den Laufrucksack und verabschiedete mich von meinen Liebsten. Ich sagte noch: "Wir sehen uns an der Finish-Line".
5. Finish in Chamonix
Zusammen mit Barry ging es die letzten 800 Höhenmeter nach oben. Leider trennten sich hier unsere Wege. Die Cut Off hing uns im Nacken und ich entschied schneller zu laufen. Berry war verletzt und konnte nur noch humpeln. Ich traute ihm das Finish nicht zu.
Endlich war der letzte Berg erklommen. Ich hatte noch 2 1/2 Stunden für 14 Kilometer Zeit, um ins Ziel zu kommen. Bergab ließ ich es laufen und ich fühlte mich mehr oder weniger frisch. In Chamonix waren tausende Zuschauer an der Strecke. Die letzten 2 Kilometer führen durch Chamonix. Kinder klatschten mich ab und die vielen Zuschauer jubelten, als wir Läufer kamen. Noch 300 Meter und jetzt kam der Moment, warum man sich solche Strapazen aussetzt. Ich erblickte meine Kinder und meine Frau. Meine Mäuse gingen auf die Strecke und gemeinsam liefen wir Hand in Hand in Richtung Finish-Line. Jetzt flossen die Freudentränen. Der Mont Blanc im Rücken, meine Kinder in der Hand, meine Frau neben uns, jubelnde Zuschauer und 181 Kilometer, 10000 Höhenmeter waren geschafft. Einfach nur genial. Ich hatte ein Ziel erreicht, das ich mir vor Jahren steckte. Dies ist einer der Momente, warum man lebt.
Überglücklich, aber auch völlig fertig saß ich dann im Ziel. Und freute mich über den verdienten Siegerkuss von Brigitte. Über 60 Stunden ohne Schlaf und solch Strapazen zerren an der Substanz.
Jetzt hatte ich mir ein kühles Siegerbier und eine Pizza verdient. Auch mein neuer Kumpel Barry kam noch rechtzeitig ins Ziel. Das freute mich ebenfalls sehr.
Das Abenteuer UTMB war geschafft und ganz klar, ich werde wiederkommen. Dann aber fitter und hoffentlich Verletzungsfrei.
Nach dem UTMB ist vor dem UTMB :-) Ein langes Abenteuer ging zu Ende…
Kurzer Nachtrag: Sofort nach dem Rennen meldete ich mich für den Istria 100 an. Hier werde ich im April 2024 die 110 Kilometer Strecke bestreiten. Somit "Running Stones" sammeln, Losglück zu haben und vielleicht 2025 ein 3. Mal den UTMB zu bestreiten. Wieder liegt ein langer und steiniger Weg vor mir...